HWK Schwaben

Interview mit Prof. Dr. Ursula Münch über aktuelle politische Herausforderungen„Ohne Handwerk geht nichts“

Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing am Starnberger See. Vielen ist die Professorin für Politikwissenschaft aus den Medien bekannt, unter anderem von der Sendung „Der Sonntagsstammtisch“ des Bayerischen Rundfunks. Wir haben mit ihr über die neue Koalition und aktuelle Herausforderungen gesprochen.

Frau Prof. Münch, worauf kommt es aus Ihrer Sicht in der kommenden Legislaturperiode an?
Ich würde mir wünschen, dass es mehr Dynamik gibt als bei der vorherigen Koalition oder den letzten großen Koalitionen unter Angela Merkel. Gerade mit Blick auf die Wirtschaft. Die neue Regierung muss mit den diversen Krisen besser fertig werden. Und was ich mir natürlich auch wünsche, ist, dass es deutlich weniger Streit als in der Ampelkoalition gibt, was ja vor allem an der schwierigen Dreier-Konstellation lag. CDU/CSU und SPD sind Parteien, die natürlich große Unterschiede mit Blick auf ihre Programmatik aufweisen. Und wenn sie Gemeinsamkeiten haben, dann liegen die auch oft im Geld ausgeben und in der Verteilung sozialpolitischer Wohltaten. Auch nicht unbedingt das, was jetzt der Wirtschaft auf die Beine hilft. Und wir haben hier zwei Volksparteien, die sich in der Vergangenheit immer auch dadurch ausgezeichnet haben, dass sie Konflikte ganz gern mit Geld übertüncht haben.

Es werden jetzt hunderte Milliarden bereitgestellt, unter anderem für die Infrastruktur. Worauf kommt es da aus Ihrer Sicht an und wo liegen die Gefahren?
Also eine Gefahr liegt meines Erachtens darin, dass die gesamte Öffentlichkeit jetzt so hohe Zahlen im Kopf hat. Das sind ja sehr hohe Beträge mit Blick darauf, was da möglicherweise für Schuldenbelastungen entstehen und wie diese künftige Generationen beeinträchtigen. Wenn man sich dann aber vergegenwärtigt, dass diese Möglichkeiten der Verschuldung auf zwölf Jahre gestreckt sind und wenn ich höre, was allein der Neubau einer Schule kostet, was der Neubau von Brücken kostet und wir wissen, wie viele Brücken sanierungs- oder abrissbedürftig sind, dann relativiert sich das alles. Und wenn ich mir dann Punkte wie die Mütterrente oder die Erhöhung der Pendlerpauschale anschaue, was ja aus Sicht der begünstigten Gruppen verständliche Anliegen sind, dann frage ich mich: Wie wollen wir uns das leisten? Ich habe auch Verständnis dafür, dass die Gastronomie ein großes Interesse an der Senkung der Mehrwertsteuer hat. Aber da wird es mir schon Angst. Denn wenn so viel Geld dafür ausgegeben wird, dann ist ja noch keine Brücke gebaut und auch kein Kindergarten. Und Kindergärten sind eben keine sozialen Wohltaten, sondern die Voraussetzung dafür, dass Eltern so erwerbstätig sein können, wie sie gerne wollen und wie es die Unternehmen ja auch brauchen.

Das Handwerk ist ja der entscheidende Faktor für die Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen. Wo sehen Sie da die größten Herausforderungen?
Also zum einen brauchen die Handwerksbetriebe natürlich Planungssicherheit. Wenn ich als Unternehmer Personal einstelle und mühsam suche, womöglich sogar im Ausland akquirieren muss, wenn ich Mütter mobilisiere, weniger Teilzeit zu machen, mehr in Vollzeit zu gehen, dann ist das meistens alles mit Investitionen verbunden. Also insofern ganz, ganz wichtig, dass man Planungssicherheit hat, dass man weiß, der Auftrag kommt und der wird dann auch bald bezahlt. Und dass das möglichst wenig mit Regularien verbunden ist. Dann ist natürlich die Frage: Wo kriege ich mein Personal her? Wie geht es weiter mit der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften? Viele Handwerksbetriebe beschäftigen Asylbewerber, die einen schwierigen Aufenthaltsstatus haben und womöglich das Land wieder verlassen müssen.
Gleichzeitig sind es Mitarbeiter, die man ungern wieder gehen lässt.

Wo liegen da die Schwierigkeiten?
Zum Beispiel beim sogenannten Spurwechsel: Kann es den verlässlich geben, ohne dass man falsche Anreize setzt, was wir ja alle nicht wollen. Wir wollen nicht, dass ständig noch mehr Flüchtlinge kommen, die weder einen wirklichen Fluchtgrund haben noch adäquat gebildet sind, von ausgebildet mal ganz zu schweigen. Da ist ganz viel Klärung notwendig. Wie schafft man es, dass die Menschen, die eine Wohnung und einen sicheren Arbeitsplatz haben, aber eben keine Aufenthaltsberechtigung, dass die dann vielleicht doch bei uns bleiben dürfen? Und wie trennt man die von denjenigen, die sich nach drei Jahren immer noch nicht integriert haben? Und natürlich die Frage: Was kann Bildungspolitik noch mehr leisten, um mehr Qualifikation bei den Schulabgängern zu erzielen?



„Wir haben hier zwei Volksparteien, die sich in der Vergangenheit auch dadurch ausgezeichnet haben, dass sie Konflikte ganz gern mit Geld übertüncht haben.“ Prof. Dr. Ursula Münch, Politikwisscheschaftlerin



Laut Berufsbildungsbericht aus dem vergangenen Jahr haben fast drei Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Wie können wir diese Menschen erreichen?
Wir haben einen viel zu großen Anteil von jungen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, die die Schulen verlassen, ohne einen Abschluss zu haben, und die damit im Grunde auch nicht ausbildungsfähig sind. Also selbst wenn die Betriebe bereit sind, sie zu nehmen. Die sind im Grunde überhaupt nicht so sozialisiert, dass man mit denen von morgens um sieben bis nachmittags um 16 Uhr ordentlich arbeiten kann. Und das darf man ja auch nicht nur auf die Schulen und die Lehrkräfte abladen, weil sie auch mit dieser Heterogenität der Schülerschaft stark überlastet sind. Das ist eine enorme gesellschaftliche Aufgabe, die auch sehr viel Geld kostet. Da braucht man nicht nur die Schulen und die Ausbildungsbetriebe, sondern das ist auch eine Aufgabe zum Beispiel der Vereine, etwa der Sportvereine. Dazu bräuchten wir mehr Menschen im Ehrenamt. Die ganzen Boomer gehen jetzt bekanntlich in Ruhestand, die hätten jetzt vielleicht Zeit, sich ehrenamtlich mehr zu engagieren. Vielleicht könnten wir auf die Weise für diese jungen Menschen Angebote schaffen, in Kooperation zwischen Berufsschulen, Mittelschulen, Vereinen und Ausbildungsbetrieben.

Häufig wird ja der Weg über das Abitur zum Studium als der Königsweg angesehen. Wie ließe sich dem entgegenwirken?
Da gibt es ja seit einigen Jahren verschiedene Initiativen. Einerseits von den Handwerkskammern, die darauf hinweisen, wie anspruchsvoll Handwerksberufe sind. Dass es nicht nur um handwerkliches Geschick geht, sondern auch um Köpfchen. Da sehe ich schon jetzt die Veränderungen, dass sich das Bild des Handwerks in der Öffentlichkeit verändert hat. Es gibt jetzt in Bayern an den Schulen ja auch den Tag des Handwerks. Das sind lauter wichtige Initiativen. Und es geht darum, Menschen dazu zu bringen, dass sie wieder mehr Verantwortung übernehmen. In ganz vielen gesellschaftlichen Bereichen wenden sich die Leute ab von der Selbstständigkeit und ihrer eigenen Verantwortung. Zum Beispiel auch im medizinischen Bereich. Viele Ärztinnen und Ärzte sind lieber angestellt tätig, statt eine eigene Praxis aufzumachen. Und das ist natürlich ein Problem, weil Eigenverantwortung etwas ganz Wichtiges ist. Das gehört ja zum Handwerk einfach dazu, dass eine Meisterin oder ein Meister ein gewisses Risiko eingeht und Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt. Es braucht hier insgesamt wieder ein Umdenken. Aber es braucht auch eine Entlastung derjenigen, die bereit sind, tatsächlich in die Verantwortung zu gehen.

Mit Blick auf die Energiewende oder die Schaffung von Wohnraum, welchen Stellenwert hat für Sie das Handwerk?
Ohne Handwerk geht nichts. Eigentlich hätten wir ja genügend Wohnraum, aber eben nicht dort, wo er benötigt wird. Zudem müssen Wohnungen alterstauglich gemacht werden. Mit das Wichtigste für Menschen ist ein Dach über dem Kopf. Und wenn junge Menschen das Gefühl haben oder wissen, ich kann daheim nicht ausziehen, wenn ich eine Ausbildung mache oder studiere, weil ich kein Zimmer finde, das ich mir leisten kann, das verbaut einem auch die Zuversicht. Es ist also sogar für unsere Demokratie relevant, dass es genügend Wohnraum gibt, den sich auch die ganz normalen Leute leisten können. Auch die Energiewende ist elementar wichtig, damit der Klimawandel nicht immer noch rasanter fortschreitet. Dazu brauchen wir Handwerksbetriebe. Also insofern sind Handwerksberufe für unser Land wichtiger als so manch anderer Beruf – Politikwissenschaftlerinnen eingeschlossen. Und wir brauchen ein Handwerk, das die Arbeit zuverlässig und hochwertig leisten kann. Also wenn die Nachfrage so groß ist und gleichzeitig der Fachkräftemangel zunimmt, wie schafft man es, die Qualität zu halten?

Neben den großen Zukunftsaufgaben, welche Bedeutung hat das Handwerk auch gesellschaftlich?
Also das stelle ich immer wieder fest, ob ich jetzt in Berufsschulen bin oder sonst im eigenen Umfeld mit Handwerksmeistern zu tun habe. Das sind ganz häufig Menschen, die sich dann auch in den Vereinen engagieren. Es ist wie fast immer im Leben: Diejenigen, die ohnehin schon viel Arbeit haben, machen nochmal mehr. Sie engagieren sich bei der freiwilligen Feuerwehr, bei der Bergwacht oder unterstützen tatkräftig den Sportverein. Eine Handwerksmeisterin oder ein Handwerksmeister geht damit auch den eigenen Mitarbeitern mit gutem Beispiel voran. Und das hat eine enorme Wirkung und stabilisiert eine Gesellschaft.

Sascha Schneider

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